Was bewegt die Wiesbadener Berufsschulen? – Diskussion mit Kultusminister Alexander Lorz und Astrid Wallmann

Wiesbadener Berufsschulleiter/in treffen Landespolitiker. Von links: Ute Stauch-Schauder (Louise-Schroeder-Schule), Dr. Peter Binstadt (Kerschensteinerschule), Astrid Wallmann (MdL), Prof. Dr. Alexander Lorz (Hessischer Kultusminister), Andrea Männle (stv. Leiterin des Staatlichen Schulamtes), Rainer Strack (Schulze-Delitzsch-Schule), Thomas Meyke (Friedrich-List-Schule) und Andreas Kirschner (Friedrich- Ebert-Schule). (Foto: Hilbert/SDS)

„Schulleiter zu sein ist ein toller Job. Das unterschreiben hier alle. Und mit jungen Leuten zu arbeiten ist ein sehr schöner Beruf.“ Mit diesen Worten begrüßte Schulleiter Rainer Strack von der Schulze- Delitzsch-Schule (SDS) im Namen der Schulleiter/in aller fünf Wiesbadener Berufsschulen Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz und die Wiesbadener Landtagsabgeordnete Astrid Wallmann sowie Andrea Männle vom Staatlichen Schulamt. Die Gesprächsrunde fand am 14. November 2018 in den Räumen der SDS statt.

In dem eineinhalbstündigen Gespräch zwischen den Wiesbadener Berufsschulleitern/in (BSL) und den Politikern ging es aber um mehr, als über die zugegebenermaßen schönen Seiten des Lehrerberufes zu parlieren. Es ging darum, die Herausforderungen zu adressieren, denen unsere Berufsschulen im Alltag gegenüberstehen und die von kommunalen und landesbezogenen Zuständigkeiten beeinflusst werden. „Die gegenseitige Hilfe unter den Schulen, auch der enge Kontakt zum Schulamt, ist unabdingbare Voraussetzung, dass fünf Schulen nebeneinander mit über 10.000 Schülerinnen und Schülern und über 500 Lehrkräften als Schulsystem funktionieren kann“, verdeutlichte Strack eingangs die Dimension des Berufsschulzentrums für die Gäste, bevor es um die Kernthemen Personalgewinnung, Flexibilisierung, Lehrerzuweisung, Gymnasialausbildung, sozialpädagogische Unterstützung (UBUS), Verwaltung sowie Digitalisierung und E-Learning ging.

Personalgewinnung

Der personelle Nachwuchsmangel ist ein zentrales Thema bei allen Berufsschulen und wird bestimmt durch die Ausbildungsvoraussetzungen sowie durch die Attraktivität der Stellen.

Für die SDS reklamierte Strack, dass früher das Studienseminar vornehmlich durch Mainzer Studie- rende gut ausgelastet gewesen sei und Leute ohne Zweitfach an den Schulen Politik unterrichten

konnten, was heute nicht mehr möglich sei. Heute fehlten Politiklehrer und der Rückgang an LiVs gefährde das Studienseminar mitsamt den Ausbildungsschulen in Taunusstein, Geisenheim, vielleicht sogar Wiesbaden. Strack weiter: „Hinzu kommen die Pensionierungsfälle. Ich schicke jedes Schuljahr 6 bis 8 Kollegen in den Ruhestand. Und es gibt keinen Nachwuchs mit geeigneter Qualität.“

Andreas Kirschner von der Friedrich-Ebert-Schule (FES) führte dazu aus, dass Seiteneinsteiger, die über QUEM (Quereinstieg in den pädagogischen Vorbereitungsdienst in sogenannten Mangelfächern) in das Referendariat eintreten, oft bereits in der Industrie gescheitert seien. Im Gegensatz dazu brächten vollausgebildete Lehrkräfte eine ganz andere Profession in diesem Beruf mit. Leider seien diese aber schwer zu gewinnen, denn „ein Studium, auf Gewerbelehrer zu gehen, gibt es gar nicht mehr.“ Hier sei, so Kirschner, „ein Paradigmenwechsel notwendig, den Lehrerberuf wieder aufzuwerten und junge Menschen wieder dazu zu begeistern.“

Für die Louise-Schroeder-Schule (LSS) beklagte Ute Stauch-Schauder, dass es in den Bereichen „Sozi- alwesen und Gesundheit keine Lehramtsstudiengänge in Hessen (gibt). Auch kommen keine Studien- referendare bei uns an. Wir müssen immer Quereinsteiger ausbilden.“ Zurzeit bildet die LSS neun Referendare aus; die Herausforderung läge darin, sie nach Ende der Ausbildung zu übernehmen, um im Fall von pensionsbedingten Abgängen gewappnet zu sein. Dem spezifischen Bedarf nach länger befristeten Teilzeitkräften, etwa im Bereich der Zahnmedizin, Apotheken oder Pharmazie, steht aber die Gesetzgebung entgegen.

Die Frage, welche Lösungsmöglichkeiten bei der Personalgewinnung bestehen und welchen Beitrag das Schulamt leisten kann, wurde an Andrea Männle gerichtet.

In jedem Fall, so Männle, „schauen wir bereits im August im Rahmen der verfügbaren Planstellen nach Referendaren, die im Februar fertig werden. Zusätzlich wandeln wir noch, wo möglich, Eltern- zeiten.“ Alles in allem seien das aufwendige Verfahren, wie zum Beispiel QUEM, über das 120 Leute zugelassen wurden. „Das war viel Arbeit für die Schulleiter“, so Männle und hob hervor, dass – einmalig in Hessen – alle fünf Berufsschulen an der Kooperation Mittelstufenschule teilgenommen hät- ten.

Flexibilisierung der Einstellungen

Diskutiert wurden auch Möglichkeiten, die Einstellungsprocedere bedarfsgerecht zu flexibilisieren.

Kultusminister Alexander Lorz sieht den Engpass beim Lehrkräfteangebot, nicht bei der Zahl der Referendariatsplätze oder Planstellen: „Und das ist ja kein Punkt, der fürs Berufsschullehramt spezifisch wäre, sondern das haben wir im Moment überall.“ Hinzu käme der Fachkräftemangel in Industrie und Wirtschaft, die mit den Berufsschulen konkurrierten: „Wir müssen also versuchen, an den Schrauben zu drehen, die uns zur Verfügung stehen. Im Gesundheitsbereich müssen wir schauen, im nächsten Hochschulpakt einen entsprechenden Studiengang zu etablieren.“ Engpässen könne man durch mehr Flexibilität begegnen, um die Leute zu halten, etwa mit einer Einstellungsgarantie, wie es bereits im Grundschulbereich praktiziert würde: „Es sollte uns niemand von denjenigen Leuten weg- laufen, die Sie haben wollen“, so Lorz. Auch stellte er in Aussicht, die Thematik „Einfachlehrer“ mit seinen Fachleuten zu besprechen oder darüber nachzudenken, analog zu QUEM weitere Maßnahmen aufzulegen. Sogar über Prämiensysteme und Anwärtersonderzuschläge würde nachgedacht.

Als weiteren Ansatz zur Lösung von Personalengpässen spricht Peter Binstadt, Kerschensteinerschule (KSS) das Campusprinzip an, um den Fachlehrerbedarf übergreifend und unabhängig von schulbezogenen Planstellen zu decken: „Eine Flexibilisierung ist erforderlich, damit der Campusgedanke auch gelebt werden kann, indem eine Zuweisung an eine Schule erfolgt, mit der Maßgabe der Abordnung an die andere Schule. So können wir beispielsweise vermeiden, dass mangels einer Planstelle an unserer Schule der Fachlehrerbedarf nicht gedeckt werden kann.“

Lehrerzuweisung

Neben Personalgewinnung geht es auch um Lehrerzuweisungen.

Die LZVerordnung für Berufsschulen wurde zunächst dankbar aufgenommen, weil dadurch dem An- schein einer gewissen Beliebigkeit Einhalt geboten werden konnte. Das Problem jetzt sei, so Strack, dass der Schulträger Klassenräume vorgäbe, in die die Personenzahl, die in der Zuordnungsverord- nung steht, nicht beschult werden könne. Das Dilemma bestünde darin, dass die von der Stadt limi- tierte Raumgröße dazu führe, dass wegen der kleineren Klassengröße das Land nicht die erforderli- che Lehrerzuweisung vornimmt. Strack gab dazu ein Beispiel: „ Wir haben 24 PC-Arbeitsplätze pro Raum plus einem Lehrer-PC. Für volle Lehrerzuweisung müssen aber 30 Personen in der Klasse untergebracht werden. Bereich Büromanagement mit runde 9 Klassen pro Jahr bleiben 9×6=54 SuS in der Luft hängen, da zwei Klassen zu viel gebildet werden, für die keine Lehrerzuweisung erfolgt.“ Eine Lösung könne auch hier die Flexibilisierung der Zuweisungsspielräume sein.

In der Verbesserung der LZVerordnung sah Lorz einen langwierigen Prozess, der im Rahmen der Digitalpaktverhandlungen abgehandelt würde.

Ausbildung gymnasialer Lehrkräfte an Studienseminaren

Andreas Kirschner trug vor, das zum Beispiel Rheinland Pfalz Deutsch-Englisch-Lehrkräfte für Berufs- schulen ausbildet, einstellt und damit erfolgreich Nachwuchs rekrutiert. In Hessen könnten die Berufsschulen davon nicht profitieren, da seit 2015 die Anerkennung der Rheinland Pfälzischen Ab- schlüsse für Lehrkräfte ohne beruflichen Schwerpunkt nicht mehr möglich sei.

Thomas Meyke von der Friedrich-List-Schule (FLS) bekräftigte die Vorteile: „Wir haben ja das berufliche Gymnasium und dann ist das für die LiVs (Lehrer im Vorbereitungsdienst) schon eine besondere Härte, weil die in der Unterstufe der Helene Lange Schule und dann bei uns in der Oberstufe unter- richten müssen. Dieser Austausch klappt aber wunderbar. Wir haben dadurch auch schon einige Lehrkräfte gewonnen“. In Bezug auf Flexibilität lobte Meyke die Möglichkeit zur Umwandlung von Elternzeit. Gleiches wäre auch für Langzeiterkrankte nötig, da der Unterrichtsausfall nur durch intensive Mehrarbeit der Kolleginnen und Kollegen einigermaßen vermieden werden könne. Ebenso müssten flexible Ausnahmen geschaffen werden, um entfristet Beschäftigten begrenzt Mehrarbeit zu erlauben: Die helfen uns ohne Ende. Die Schule würde nicht funktionieren, wenn wir nicht die Kolleginnen und Kollegen hätten, die das irgendwie mit uns ausbaden.“

Lorz regte an, die Manöveriermasse des großen BS-Systems zu nutzen, um schulübergreifend im Vorfeld nach Lehrkräften zu suchen, die zum Beispiel Langzeiterkrankte kompensieren und später Pensionäre ersetzen.

UBUS

In das Programm „Unterrichtsbegleitende Unterstützung, insbesondere Erziehung“ wurden auch die Berufsschulen aufgenommen, auch wenn spezifische Umsetzungsthemen noch zu lösen sind.

Frau Stauch-Schauder berichtete von Ihren Erfahrungen, dass mit der E10-Einstufung die qualifizierten Leute mit Berufserfahrung, die wir dringend benötigen, nicht kommen.“ Hochschulabgänger seien keine Alternative, da Berufserfahrung, auch in Blick auf selbstständiges Arbeiten, unabdingbar wäre: „So verlieren wir HJ für HJ, ohne vorwärts zu kommen.“

Eine ad hoc-Lösung sei laut Lorz nicht möglich, da die Entgeltgruppen tariflich festgelegt seien: „Die Landesregierung kann den Eingruppierungserlass ändern, nicht aber den Tarifvertrag.“

Die Anregung von Stauch-Schauder, direkt in E11 einzustellen, sei juristisch kompliziert: „Die Ein- gruppierung in E11 setzt eine sozialpädagogische Prüfung voraus“, erläuterte Andrea Männle vom Schulamt, versprach aber, diese Frage „mitzunehmen“.

Verwaltungsarbeit

Das zweite große Thema war der Zuwachs an Verwaltungstätigkeiten.

Die Kernaufgabe, Unterricht zu verbessern, pädagogisch individuell auf die SuS einzugehen, würde zunehmend durch administrative Zusatzarbeiten verdrängt, eröffnete Strack diesen Themenkomplex. Verantwortlich seien umfangreiche Dienstbeurteilungen und inkompatible Schulverwaltungssysteme, die Mehrfacherfassungen und eine immense Datenpflege erfordern, wie zum Beispiel LUSD und das Stundenplanprogramm oder PPB (Planungssystem Personal und Budget). Es würde so viel Arbeits- kraft bei der Schulleitung gebunden, da die Sekretärinnen als kommunale Angestellte solche Aufgaben nicht übernehmen dürften. Frau Stauch-Schauder bestätigte, dass die viele Detailarbeit auf- hielte, an anderer Stelle fehle und organisatorische Möglichkeiten der Flexibilisierung ausgeschöpft seien. Stauch-Schauder: „Erheblich zugenommen hat auch der Support für IT und pädagogische Betreuung der Digitalisierungssysteme, was zu einer extremen Belastung der Abteilungsleiter führt, die zudem noch 20 Wochenstunden unterrichten.“ Dies alles sei in die Entlastungsüberlegungen, etwa durch Gewährung von Deputatsstunden, einzubeziehen.

Lorz bestätigte die Sicht auf diese Problematik und verwies auf zwei Pilotprojekte vom Herbst des Jahres, bei denen Sekretariatsstellen mit Landesmitteln alimentiert werden, wenn eine Zuordnung der Schulträger- und Landesaufgaben in einem Verteilungsschlüssel pauschal abgebildet werden könne. Auch sei ein Verbund über drei bis vier Schulen denkbar.

In Bezug auf die Haushaltsführung wünschte sich Strack eine größere Entscheidungsfreiheit über die Verwendung der Schulbudgets, die vom Land und vom Schulträger getragen werden, etwa bei der Beschaffung von MS-Office-Lizenzen.

Digitalisierung und E-Learning

Digitalisierung war für die Berufsschulen ein sehr wichtiges Thema. Die BSL monierten, dass der Digi-alisierungspakt noch immer nicht geschlossen sei. Am Beispiel der SDS erläuterte Strack, dass die Investitionskosten für WLAN etwa die Hälfte seines Gesamtetats von Landesseite und von städtischer Seite erforderten, die nun an anderer Stelle fehlten. Gleichwohl bestünde die Gefahr, so Strack, dass „eine berufliche Schule, die nicht ein hohes Maß an Digitalisierung nachweisen kann, Schüler verliert. Denn wir sind in Konkurrenz mit den Ausbildungsbetrieben und werden daran gemessen.“

Ein weiteres Thema war die Einführung von E-Learning und die einschlägigen Rechtsvorschriften be- züglich der Unterrichtsorganisation. Strack führte dazu aus, dass für FOSz Klassen eine samstägliche Schulpflicht bestünde, die parallel zum Beruf oder der Ausbildung dieser SuS stattfände. Durch Zu- satzbelastungen, wie zum Beispiel anstehendem Führerschein usw., würden von 30-40 Angemelde- ten lediglich drei bis vier SuS den Abschluss machen. Die Idee sei daher, Lernprogramme für zuhause anzubieten und periodisch Tests in der Schule zu absolvieren. Bei Bestehen käme dann das nächste Modul, sonst erfolge die Wiederholung. „Das Modell passt aber nicht zu den Rechtsvorschriften dieser Schulform, aber es passt zum Leben dieser jungen Menschen. Was ist wichtiger? Ich denke, man könnte von den 30 Leuten etwa 20 zur FH-Reife führen; mit den derzeitigen straffen Vorgaben ver- hindern wir die Weiterbildung dieser jungen Menschen.“ Es passten einfach bestimmte Vorschriften nicht. Unterricht fände nicht nur in der Schule, sondern auch zuhause statt.

Binstadt von der KSS pflichtete dem bei und verwies auf einen Modellversuch vor 10 Jahren, bei dem dedizierte Berufsschultage für ausbildungsgleiche BS-Klassen aus ganz Hessen stattfanden. „Wenn wir durch E-Learning einen BS-Tag den SuS ersparen könnten, wäre das sehr hilfreich. Z.B. könnten Aufgaben über Internet an die SuS verteilt werden, die diese vom betrieblichen Arbeitspatz aus erledigen“ erläuterte Binstadt.

Das Thema Rechtvorschriften griff Lorz auf und erklärte, dass parallel zu den Verhandlungen des Digi- talpaktes mit den Schulträgern eine neue Lernplattform entwickelt würde, die etwa 2020/2025 flächendeckend zum Einsatz kommen solle. Die Anpassung der Rechtsvorschriften sein hingegen noch nicht angegangen worden.

Zum Ende der Diskussion dankte Herr Strack im Namen der BSL den Gästen und übergab Astrid Wall- mann und Alexander Lorz ein kleines Präsent aus seiner Rheingauer Heimat, das „für die trockenen Stunden heute entschädigen soll.“

Wir wünschen uns alle die Unterstützung des Dienstherrn und der Politik, damit der Lehrerberuf und die Tätigkeiten der Schulleiter weiterhin ein „toller Job“ bleiben.

(Petra Hilbert, SDS)

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